“You’ve got to speak softly in order to attract the students’ attention” - one of our mentors in teachers’ training once told us, when we discussed methods to calm down a noisy classroom. If everybody screams at the top of their voice in the attempt to be heard, ear-splitting cacophony results. If you turn down the volume and then whisper with intensity, all goes quiet. And suddenly, you can hear what is really going on.
Igor Levit found the courage to do that, in the first complete performance of Shostakovich’s 24 Preludes and Fugues at Carnegie Hall last Tuesday, October 18. It takes about 2 1/2 hours to perform the entire cycle. For about three fourth of that, his playing hovered between pppp and mp, with all shades and colors in between. Stern Auditorium with its 2800 seats was almost sold out, and people didn’t budge as not miss a single note.
Carnegie Hall, Stern Auditorium (photo: internet) |
Did those sounds really come from the piano? Or did they originate somewhere in the vast space between my seat on the balcony and the stage below, like sound particles clustering together in the performer’s imagination before the hands draw them out of the keyboard. I’ve never heard anyone play the piano like that. At times, it didn’t sound like a piano, more like some flageolet effect on a string instrument. The piano can’t really merge from silence into sound unnoticed. The impact of the hammer hitting the string always causes friction. Somehow, Levit found a way to work around that. And then there were seamless glissandos, and outbreaks of brilliant virtuosity, whenever the music called for it. At one point, that led to spontaneous applause after the end of the piece. The pianist appreciated it with graceful humor. Then, he continued, undisturbed, shaping each line of the contrapuntal fabric with attention and care to every note.
I haven’t looked at the score and I don’t claim to know these pieces very well. The first time I listened to them was this summer, before I went to Leipzig to listen to the International Bach Competition. Shostakovich’s Preludes and Fugues were part of the repertoire.
To be honest, I’ve never been particularly drawn to Shostakovich’s music. During my sabbatical in St. Petersburg in 1992/93, I got to hear many of his symphonies at the Philharmonic. Back then, I found them noisy, bombastic, in a musical language that was mostly tonal with a lot of “wrong notes” when you least expected them.
Dimitri Shostakovich 1950 (photo: internet) |
The Preludes and Fugues were a surprise. There are many tender moments, with a lot of room for beautiful sound. For all I can tell, the counterpoint isn’t as intricate as Bach’s. Often, there appears to be more “meditation” on a subject than development. It’s like Shostakovich took Bach’s music as a point of departure and incorporated elements that have been developed since then: impressionistic effects, “dialogues” between a voice in the high treble and in the low bass. Shostakovich knew the modern piano, Bach didn’t. Using all means today’s instrument has to offer, Igor Levit did justice to both, the ancient polyphonic structure and the “sound effects.” What came out was music of deep expression and great beauty.
In the summer, I listened to recordings by Tatjana Nikolajeva, the great Russian pianist and winner of the first International Bach Competition in 1950. Shostakovich served on the jury of that competition, and, inspired by Nikolajeva’s playing, composed a cycle of 24 Preludes and Fugues in all keys of the circle of 5th, following Bach’s example of the Well-Tempered Clavier. I didn’t notice anything unusual about use of dynamics - but then, you couldn’t play the way Levit did on Tuesday on a recording. The effect wouldn’t come across. The listener would think there’s something wrong with the recording and turn up the volume, possibly to hear the music in the background while busying him/herself with some other task. To hear what’s really being said, between the lines, you have to be present, and you have to be still.
Thinking of Shostokovich’s life, I’ve started to wonder if there was a hidden message in Igor Levit’s whispered performance - an allusion to the composer’s tormented existence under the arbitrary persecution during Stalin’s regime. Speaking your true artistic mind could mean putting your life at stake. When true to himself, Shostakovich had to whisper a lot of the time.
Igor Levit, final bow after the performance (photo B.M.) |
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Mut zum Flüstern - Igor Levits Aufführung von Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen in der Carnegie Hall
“Man muss leise sprechen, um die Aufmerksamkeit der Schüler zu wecken,” sagte einmal einer unserer Mentoren in der Lehrerausbildung, als wir darüber sprachen, wie man eine lärmende Klasse zur Ruhe bringt. Wenn alle schreien so laut es geht um sich Gehör zu verschaffen, ist das Resultat ohrenbetäubender Lärm. Wenn man die Lautstärke herunterfährt und dann mit Intensität flüstert wird alles still - und man kann hören, was wirklich los ist.
Igor Levit hatte den Mut dazu, in der ersten Gesamtaufführung von Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen in der Carnegie Hall am vergangenen Dienstag, 18.10. Den gesamten Zyklus zu spielen dauert ungefähr 2 1/2 Stunden. Etwa drei Viertel der Zeit bewegte sich das Spiel des Pianisten im Bereich zwischen ppppp und mezzo piano, mit allen Zwischenstufen und Klangfarben, die man sich vorstellen kann. Der riesige Konzertsaal mit 2800 Plätzen war fast ausverkauft, und niemand rührte sich, um nur ja keinen Ton zu verpassen.
Carnegie Hall, Stern Auditorium (photo: internet) |
Kamen die Töne wirklich vom Flügel, oder von irgendwo anders in dem weiten Raum zwischen der Bühne und meinem Platz auf dem höchsten Rang unter der Saaldecke ? Es war, als könnte man hören, wie sich der Klang in der Vorstellung des Pianisten formt, bevor die Hände ihn den Tasten entlocken. Noch nie habe ich jemanden so Klavier spielen hören. Manchmal klang es nicht wie ein Klavier, sondern wie ein Flageolett Effekt auf einem Streichinstrument.
Ein allmählicher Übergang von Stille zu Klang ist auf dem Klavier eigentlich nicht möglich. Der Hammer verursacht immer einen Anschlag, wenn er auf die Seite trifft. Irgendwie fand Igor Levit einen Weg aus diesem Dilemma. Und es gab übergangslose Glissandi und brillante Virtuosität, wenn die Stücke sie erforderten. Einmal gab es dafür spontanen “Szenenapplaus.” Der Pianist nahm ihn mit humorvollem Charme entgegen. Dann spielte er ungestört weiter und gab jeder Linie im Gewebe des Kontrapunkts ihre eigene Gestalt.
Ich kenne diese Stücke nicht besonders gut und habe noch nie in Noten gesehen. Ich lernte sie erst in diesem Sommer kennen, bevor ich nach Leipzig fuhr, um mir den Internationalen Bachwettbewerb anzuhören. Schostakowitschs Präludien und Fugen gehörten zum Wettbewerbsrepertoire.
Um ehrlich zu sein, meine Begeisterung für Schostakowitschs Musik hielt sich bis dahin in Grenzen. Während meines Aufenthalts in St. Petersburg im Winter 1992/93 hörte ich mehrere seiner Sinfonien in Konzerten in der Philharmonie. Ich fand sie laut, bombastisch, vorwiegend tonal mit vielen falschen Tönen, meist wenn man sie am wenigsten erwartete.
Dimitri Schostakowitsch 1950 (photo: internet) |
Auf dem Hintergrund dieser Erfahrung waren die Präludien und Fugen eine Überraschung. Es gibt viele zarte Momente, Nachdenklichkeit, viel Platz für klangvolles Spiel. Mir scheint, als wäre der Kontrapunkt nicht so kompliziert und komplex bei Bach, mehr “Meditation” über das Thema als Entwicklung; so, als hätte Schostakowitsch Bachs Musik als Ausgangspunkt genommen und Elemente mit einbezogen, die erst später ihren Weg in die Musik fanden: impressionistische Klangeffekte; interessante “Dialoge” zwischen Stimmen im hohen Diskant und tiefen Bass. Schostakowitsch kannte das moderne Klavier und hatte Möglichkeiten, die Bach nicht zur Verfügung standen.
Igor Levit wurde beiden Aspekten gerecht, der alten polyphonen Struktur und den neuen Klangeffekten. Das Resultat war Musik von tiefem Ausdruck und grosser Schönheit.
Ich lernte die Stücke zuerst in Aufnahmen von Tatjana Nikolajewa kennen, der grossen russischen Pianistin, die 1950 den ersten Internationalen Bachwettbewerb in Leipzig gewann. Schostakowitsch war Mitglied der Jury in diesem Wettbewerb. Inspiriert von Nikolajewas Spiel, schrieb seine 24 Präludien und Fugen in allen Tonarten des Quintenzirkels nach dem Vorbild von Bachs “Wohltemperiertem Klavier.”
Als ich die Aufnahmen von Tatjana Nikolajewa hörte, fand ich nichts Auffälliges in Bezug auf die Dynamik. Aber den Effekt von Igor Levits “geflüstertem” Spiel am letzten Dienstag könnte man auf einer Aufnahme kaum wiedergeben. Die Hörer würden denken, irgendwas stimmt nicht, man muss die Lautstärke aufdrehen, damit man die Musik auch noch hören kann, wenn man sich daneben mit irgendwas anderem beschäftigt.
Um zu hören, was wirklich gesagt wird, zwischen den Zeilen, muss man vollkommen präsent sein, und still.
Ich habe über Schostakowitschs Leben in Stalins Russland nachgedacht, über die Willkür, mit der das Politbüro Künstler gnadenlos verfolgte, deren Werke nicht mit der gerade propagierten Parteilinie übereinstimmten. Mehr als einmal fand sich der Komponist im Kreuzfeuer der Kritik und fürchtete um sein Leben. Um sich als Künstler treu zu bleiben, musste er oft genug flüstern - eine stille Botschaft, die vielleicht hinter von Igor Levits Spiel stand ?
Igor Levit, letzte Verbeugung nach dem Konzert (photo B.M.) |