Friday, May 10, 2019

Authority is no fun - or: Beethoven would not approve - / Autorität macht keinen Spass - oder: Beethoven wäre nicht einverstanden –


My student is beaming. For the first time ever, she’s played “Für Elise” from beginning to end. That’s a huge accomplishment for a ten-year-old, who was about to drop piano altogether a few months ago. “I’m tired of the endless fights about practicing, what’s your cancellation policy?” her mom inquired.

I don’t encourage simplified versions of pieces that are too difficult. But sometimes, you have to pull out all the stops. My student has been piecing together the beginning of Beethoven’s all-time favorite by ear almost since she started lessons. I find an arrangement of the first part that simplifies the left hand. One could even complete it to the original version later on.

The deadline for dropping out of piano arrives, and there’s no more talk about quitting. The student has the original version of “Für Elise” at home. I suggest she try the original version of the first part, which doesn’t give her much trouble. One day, she comes in and plays the second part, the one that catapults the piece from late elementary to late intermediate and is most people’s downfall. Mom has given some help; the section is considerably slower than the rest, some issues need attention, but it’s basically there. I feel she can do this, and more than that: she wants to.  

L. van Beethoven: Für Elise, part 1, original version

A few weeks later, we’ve evened out most of the kinks. Today’s performance was the peak – so far. The tempo was steady. There were a few little fumbles, but no breakdowns along the way. Connecting the melody at the beginning of the second part requires a slip fingering. An entire exercise in “A Dozen a Day” was devoted to the skill. My student did it perfectly.

In “Für Elise” she bounces off long melody notes as if they were diving boards, eager to get to the next note. That tears the melody apart. We’ve tried to improve this at every lesson. I’ve explained and demonstrated what the melody sounds like if you sing it like that.  We’ve argued, too. When the difficult accompaniment in the left hand absorbs all the attention, there are no capacities left to care about a melody line.

L. van Beethoven, Für Elise part 2

Then, there’s the third-part. It is technically easy, but in order to line up the chords and the repeated notes in the left hand correctly, you have to keep track of the count. Who wants to count, when there’s so much drama in the music.  

I know I’m going to turn that happy smile on my student’s face into a frown when I request her to play this section again, counting out loud. I’m willing to let go of the broken melody in the second part, but time signature changes in part three are simply wrong and not intended by Beethoven.

L. van Beethoven: Für Elise part 3

In my mind I picture myself in third or fourth grade, preparing for a student recital, my mother hovering over me, insisting I can do better than that. I do my best to please her. I don't hear or feel the difference, and I could care less, because I'm eager to finish and be off to somewhere else.

A while ago, I had a conversation with a young advocate of veganism as a radically non-violent approach to living in the world and relating to other people. In his opinion, adults should refrain from imposing their will on children. I’m all for non-violence, but I asked if he didn’t think that the more advanced and knowledgeable had some responsibility towards the young, inexperienced and vulnerable. He flinched when I used the word “authority” – even though I specified it as authority by way of expertise and experience, rather than the random imposition of power on another person.

I told him that, as a piano teacher, I came full circle fairly late in life, when I started to take lessons again and experienced that certain practices and approaches such as scales, arpeggios, a certain amount of technical exercises and such simple things as counting out loud - though not terribly appealing in and of themselves – enabled me to do things I could only dream of earlier on.   

I turn to my student, and the third part of “Für Elise.” It’s not my most creative day, and I’m temporarily out of ideas that would turn the task of straightening out the rhythm into a fun game. I simply request that we go through this again, counting out loud. She does it, because she has to, and working through the resistance is as difficult as mastering the task.

Ludwig van Beethoven
 As a young teacher I’d probably have let it go, overjoyed that “Für Elise” has saved another student from quitting piano. I’d have sacrificed responsibility to the composer’s intention to the student’s comfort level and lack of motivation without giving it too much thought. My attitude has changed since then. But in situations like this, I don’t like myself any better for it...

And considering that my mother never seemed to have any difficulties standing her ground as an authority, I dedicate this blog entry to her memory.
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Autorität macht keinen Spass - oder: Beethoven wäre nicht einverstanden

Meine Schülerin strahlt aus allen Knopflöchern. Zum ersten Mal hat sie Beethoven’s Für Elise von Anfang bis Ende durchgespielt. Das ist eine Meisterleistung für eine Zehnjährige, die noch vor einigen Monaten mit Klavier aufhören wollte. „Das ewige Gezanke wegen des Übens bin ich leid,“ schrieb die Mutter, „wann können wir abmelden?“

Normalerweise lasse ich keine vereinfachten Bearbeitungen von Originalwerken spielen. Aber manchmal muss man alle Register ziehen. Fast von der ersten Stunde an hat sich meine Schülerin den Anfang von Beethovens beliebter Melodie so gut sie konnte nach Gehör zusammengesucht. Ich finde eine Bearbeitung des ersten Teils, de lediglich die linke Hand vereinfacht, so dass man sie später vervollständigen kann.

Die Abmeldefrist verstreicht, und von Aufhören ist keine Rede mehr. Die Schülerin hat die Originalversion von Für Elise zu Hause. Sie hat keine Schwierigkeiten mit dem ersten Teil. Eines Tages kommt sie zum Unterricht und spielt den zweiten Teil, den Abschnitt, der das Stück von der Anfangs- in die obere Mittelstufe katapultiert und den meisten zum Verhängnis wird. Die Mutter hat ein bisschen geholfen, der Abschnitt ist wesentlich langsamer als der Anfang, ein paar Details sind nicht ganz richtig, aber ich spüre, dass sie diese Musik spielen kann. Mehr als das: sie will sie spielen.
L. van Beethoven Für Elise Teil 1, Originalversion
Ein paar Wochen später sind die meisten Schwierigkeiten behoben. So gut wie heute hat sie noch nie gespielt – in gleichmäßigem Tempo, ein paar kleine Stolpersteine hier und da, aber keine großen Zusammenbrüche. Einige stumme Fingerwechsel sind notwendig, um die Melodietöne des zweiten Teils miteinander zu verbinden. Meine Schülerin kann das, eine gesamte Übung aus „A Dozen a Day“ spielte sie perfekt.

In Für Elise stößt sie sich von den langen Melodietönen ab wie von einem Sprungbrett um zum nächsten Ton zu gelangen. Das reißt die Melodie auseinander. Jede Stunde haben wir versucht, das zu verbessern. Ich habe erklärt und demonstriert wie es klingt, wenn man die Melodie so singt. Gezankt haben wir uns auch. In der Begleitung der linken Hand ist soviel los, da sind keine Kapazitäten für die Melodie mehr frei.

L. van Beethoven: Für Elise Teil 2
 Der dritte Teil des Stückes hat seine eigenen Tücken. Er ist technisch nicht besonders schwer, aber um die Akkorde in der rechten Hand im richtigen Moment mit der gleichförmigen Tonwiederholung in der Begleitung zu koordinieren, darf man  rhythmisch den Faden nicht verlieren. Aber wer will schon zählen, bei soviel Drama in der Musik.

Ich stelle mir vor, wie sich das strahlende Gesicht meiner Schülerin verfinstert, wenn ich verlange, dass sie den Abschnitt jetzt nochmal mit laut Zählen spielt. Was die zerrissene Melodie im zweiten Teil angeht, bin ich bereit, fünf gerade sein zu lassen, aber Taktwechsel im dritten Teil sind schlichtweg verkehrt und vom Komponisten nicht vorgesehen.  

L. van Beethoven Für Elise Teil 3
Ich fühle mich zurückversetzt ins dritte oder vierte Schuljahr, bei der Vorbereitung auf ein Schülervorspiel, meine Mutter neben mir am Klavier, und sie besteht darauf, dass ich das besser kann als ich gerade gespielt habe. Darauf bedacht, so schnell wie möglich fertig zu werden und mich interessanteren Dingen zuzuwenden, tue ich mein bestes, um sie zufrieden zu stellen. Den Unterschied kann ich weder hören noch fühlen und ehrlich gesagt, er ist mir egal.  

Vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit einem jungen Mann, für den Veganismus nicht nur eine bestimmte Ernährungsart, sondern auch eine radikal gewaltlose Lebensweise darstellt. Erwachsene sollten davon absehen, Kindern ihren Willen aufzunötigen, meinte er. Ich befürworte Gewaltlosigkeit voll und ganz. Trotzdem konnte ich mir die Frage nicht verkneifen, ob ältere, kenntnisreiche und erfahrene Menschen den jüngeren, unerfahreneren und verletzlicheren gegenüber nicht eine gewisse Verantwortung hätten. Als ich das Wort „Autorität“ fallen ließ, verriet seine Miene großes Unbehagen, obwohl ich klarmachte, dass ich Autorität als Erfahrung und Expertenwissen verstanden wissen wollte, nicht als willkürliche Ausübung von Macht.

Ich erzählte ihm von meinem Beruf als Klavierlehrerin und wie sich meine Einstellung zu Tonleitern, technischen Übungen, und unbeliebten, aber nützlichen Praktiken wie laut zählen grundlegend geändert hat, nachdem ich im fortgeschrittenem Alter wieder anfing, selber Unterricht zu nehmen und am eigenen Leib erfuhr wie sie mein Spiel verbesserten. Plötzlich waren Dinge möglich, von denen ich früher nur träumen konnte. 

Ich wende mich meiner Schülerin zu, und dem 3. Teil von Für Elise. Es ist nicht mein kreativster Tag und ich habe keine Idee, wie man die Aufgabe, den Abschnitt rhythmisch zu korrigieren, in ein interessantes Spiel verpacken könnte. Stattdessen verlange ich von ihr, den Abschnitt nochmal zu spielen, und dabei laut zu zählen. Sie tut es, weil sie muss, und die Überwindung des inneren Widerstandes ist mindestens genauso schwer wie die Lösung der Aufgabe.
Ludwig van Beethoven
Als junge Lehrerin hätte ich wahrscheinlich nicht darauf bestanden, überglücklich, dass Für Elise wieder eine Klavierschülerin vor dem Aufhören bewahrt hat. Wahrscheinlich hätte ich die Verantwortung gegenüber dem Stück und dem Komponisten dem Motivationstief und der Bequemlichkeit der Schülerin geopfert, ohne mir allzu viel Gedanken deswegen zu machen. Meine Einstellung hat sich inzwischen geändert. Aber in Situationen wie dieser Klavierstunde kann ich mich deswegen nicht besonders gut leiden...

Und in Anbetracht dessen, dass meine Mutter nie irgendwelche Schwierigkeiten zu haben schien, ihren Stand als Autorität zu behaupten, widme ich diesen Blogeintrag ihrem Andenken.