Monday, August 20, 2018

Bach on the Building Site/Bach auf der Baustelle

The morning after my return from the piano festival in Minneapolis I was sitting at the kitchen table, writing the blog entry, when a cheerful male voice caught my attention: ”Hello, hello?” It was a hot day, and I had the windows open. I thought the call came from the house next door. But Genie Ramses and Siddhartha were restlessly prancing around the kitchen and bushing their tails. That’s always a reason to check things out.
Kind of like this

I got up, opened the door to the living room and found myself face to face with a middle-aged couple. “Oh my God, she’s home” – the already familiar voice exclaimed. And thus, I was introduced to the new owners of the house where I live.
I’ve known for more than a year that the house was going to be sold. The realtor and the former landlord both knew I was in Minneapolis for five days. We even had some communication while I was away. I was aware that negotiations were nearing the end. Carried away by the excitement of finally completing the deal, the parties involved unfortunately failed to inform the live inventory that inhabits the second floor.

I’ll skip the details of the communication that followed. They did include a consultation with a lawyer, which yielded information on my current situation. I’m still here, and I don’t have to move out, either. That’s all in the past now, so I’ll move on to the present: the beginning of my fifth week, living on top of a building site.
The downstairs in transition


 Did I say building site? Before building comes demolition. Some mornings I’ve woken up because my bed was shaking from the blows of the wrecking crew, who is gutting the basement and the apartment on the first floor. I’m usually up before they arrive shortly after 8 am, but it’s vacation! I want some peace and quiet, damn it!!!
Material stored in the garage.

 For a live impression, check out the following links:

- an exquisite sample of sawing, 49-seconds non-stop 
- a captivating quartet, involving the “earthquake machine” - acoustically moderate, too bad the recording doesn’t capture the vibration – followed by hammering and sawing accompanied by random “gunshots” from the stapler.
Dumpster in the driveway. You can't produce that much rubble in silence.
It’s not like that non-stop every day from 8 am to 6 pm. But some days it is, and you never know when it’s going to happen. Things happen that are much worse: people fall ill, they die, they get killed, fall victim to accidents and natural disaster. People live on the street, while I still have a roof over my head at a rent well below market value – as of now. The current situation would be worse, if the crew started at 7 am. But do they have to work seven days a week?

There’s no shortage of escapes: the library, the building of the Ethical Culture Society, which even has a piano. Friends have invited me over. But this is my home. Worse than the noise is the feeling of being steamrolled. The feeling is inside of me, and I’m the only one who can change it.

It did change when I recorded the noise. Nuisance turned into creative material.  Recording device on constant alert, I found myself waiting for a particular machine to go into action. Each of them has a distinct personality. The sequences have patterns. Limited and considerably stronger on the percussive than on the melodic side, some musical potential cannot be denied. It could inspire an avant-garde composition, but I already know I wouldn’t ever want to listen to in a concert venue.

My best friend remains the piano. Who knows which surprises new housemates will bring, once the rubble downstairs has been cleared and the construction site transformed into rental space?


While that is still in the making, no one complains about me spending the day at the piano. The freedom to do that dissipates my anger over the disruption – not always, not completely, but enough to make it bearable.  Schubert’s Fantasy-Sonata overpowers the mayhem, and the universal order of Bach’s music rises above the chaos. If the day starts with the Well-Tempered Clavier, what can go wrong? 
Cheers, everyone!

Bach auf der Baustelle

Am Morgen nach meiner Rückkehr vom Klavierfestival in Minneapolis saß ich am Küchentisch und schrieb den letzten Blogeintrag, als eine muntere Männerstimme meine Aufmerksamkeit erregte: „Hallo, hallo?“ Es war ein heißer Tag, und ich hatte die Fenster offen. Ich dachte, die Stimme käme aus dem Nebenhaus, aber die Kater stolzierten unruhig mit aufgeplusterten Schwänzen in der Küche herum. Das ist immer ein Grund, mal nach dem Rechten zu sehen.
Ungefähr so
Ich stand auf, öffnete die Tür zum Wohnzimmer und stand unversehens einem Ehepaar mittleren Alters gegenüber. „O mein Gott, sie ist zu Hause,“ rief die mir bereits bekannte Stimme aus. So lernte ich die neuen Hausbesitzer kennen.

Ich wusste seit mehr als einem Jahr, dass das Haus zum Verkauf stand. Die Maklerin und die Vorbesitzer wussten, dass ich für fünf Tage in Minneapolis war. Wir hatten sogar e-mail Kontakt in der Zeit. Mir war bewusst, dass der Verkauf vor kurz vor dem Abschluss stand. Aber aus lauter Begeisterung über den endlich perfekten Deal hatten die beteiligen Parteien dummerweise vergessen, das lebende Inventar zu informieren, das den 2. Stock bewohnt. 

Ich schenke mir die Details der Kommunikation, die der ersten Begegnung folgte. Die Konsultation mit einem Rechtsanwalt führte dazu, dass ich nun wenigstens weiß, woran ich bin, nämlich immer noch hier, und ausziehen muss ich auch nicht.

Das ist nun alles bereits Vergangenheit. Deswegen begebe mich in die Gegenwart: den Beginn der 5. Woche meines Lebens über einer Baustelle.

The downstairs in transition



Hatte ich „Baustelle“ gesagt? Vor dem Aufbau kommt der Abbruch. Manchmal bin ich morgens von den Stößen wach geworden, die das Haus erschüttern, während das Abbruchkommando die Wohnung im Parterre und das Kellergeschoss entkernt. Meistens bin ich längst auf, bevor die Truppe kurz nach acht anrückt, aber es sind Ferien! Ruhe, verdammt nochmal!!!

Die Garage ist zum Materiallager umfunktioniert.
Die folgenden Links vermitteln einen akustischen Eindruck:
- Super-Sägesequenz, genau 49 Sekunden non-stop.
- ein ansprechendes Quartett unter Beteiligung der „Erdbebenmaschine.“ Sie gibt sich akustisch eher moderat; leider vermittelt die Aufnahme keine Eindruck von der Erschütterung. Ihrem Einsatz folgen Hämmern und Sägen, untermalt von spontanen „Gewehrschüssen“  aus der Heftmaschine.

Der Müllcontainer in der Einfahrt. So viel Schutt lässt sich nicht geräuschlos produzieren.
So geht es nicht den ganzen Tag, nicht immer. Aber manchmal schon, und man weiß nie, wann das passiert. Es könnte schlimmer sein. Menschen werden krank und sterben, werden umgebracht, fallen Naturkatastrophen und Unfällen zum Opfer. Ich habe ein Dach über dem Kopf, während andere obdachlos sind, und meine Miete ist (noch) deutlich unter dem Marktwert. Die Lage hier wäre noch unangenehmer, wenn die Bautruppe morgens um 7 anrückte – aber muss denn 7 Tage die Woche gearbeitet werden?

Es mangelt nicht an Zufluchtsorten: die Bücherei, das Gebäude der Ethical Culture Society, wo sogar ein Flügel steht. Freunde haben mich eingeladen. Aber diese Wohnung ist mein Zuhause. Schlimmer als der Lärm ist das Gefühl, überfahren zu werden. Das Gefühl ist in mir und nur ich kann es ändern.

Es wandelte sich, als ich anfing, die Geräusche aufzunehmen. Belästigung wurde zu Material für ein kreatives Projekt. Das Aufnahmegerät in ständiger Bereitschaft, wartete ich auf den Einsatz der einzelnen Maschinen, ihren „persönlichen“ Klangcharakter und die Muster der Sequenzen.  Begrenzt, und rhythmisch deutlich stärker ausgeprägt als melodisch, so ist doch ein gewisses musikalisches Potential nicht zu verleugnen. Man könnte es als Material für eine Avantgarde-Komposition benutzen, aber ich weiß jetzt schon, dass ich mir die nie im Konzertsaal anhören würde.


Mein bester Freund bleibt das Klavier. Wer weiß, welche Überraschungen mich erwarten, sobald sich das Trümmerfeld unten in  vermietbaren Wohnraum verwandelt und neue Hausbewohner einziehen. Solange das Projekt noch in Arbeit ist, beklagt sich niemand, wenn ich den Tag am Klavier verbringe. Die Freiheit vertreibt die Wut über die Einschränkung - nicht immer, nicht ganz, aber doch genug um sie erträglich zu machen. Schuberts Fantasie-Sonate erhebt sich über dem Durcheinander, und Bachs Musik schafft Ordnung im Chaos.   Wenn der Tag mit dem Wohltemperierten Klavier beginnt, kann doch eigentlich nicht mehr viel schiefgehen.   


Na, dann mal Prost!