Monday, January 27, 2025

A different take on Russian Music - Pianist Bruce Liu at Carnegie Hall/ Russische Musik, anders als gewohnt - Bruce Liu in der Carnegie Hall

 


Carnegie Hall, Friday evening 1/24, 3rd row in the Dress Circle, high above the stage, with a good view of the piano - that moment just before the lights go down and the pianist will walk out onto the stage and make the music happen. A moment of anticipation even in the audience. I don’t want to imagine how the person feels who is back stage now…


Bruce Liu - I’ve heard the name, but I don’t know who he is. The concert was heavily advertised on WQXR in the days leading up the concert, and then I was lucky - a friend offered me a spare ticket. 

I have heard the music - some of it, at least - Tchaikovsky’s “Seasons,” Scriabin’s Sonata No 4, Prokofiev’s Sonata No 7 - performed with excellence and power by Russian artists, mostly in St. Petersburg, Russia. During the 1990’s I spent a lot of time there, exploring music education, visiting schools, concerts, and competitions, meeting teachers and students. I also studied with Russian pianist Oxana Yablonskaya for two years after college. Those experiences have left me with an impression of the Russian approach to interpretation that’s probably a  cliché: big sound, extrovert, seething with emotion, sometimes to the point of discomfort.


Bruce Liu’s program begins with the first six pieces of Tchaikovsky’s “Seasons” - the second part of the cycle is programmed for the beginning of the second half of the concert. The Seasons   a set of twelve character pieces, one for each month, originally set to poems by various Russian poets. It’s music fit to conjure up the magic of St Petersburg, the “Venice of the North” with its palaces and canals, the White Nights of June, when the sun barely sets, and the gaiety of the winter ball, an effort to chase away the gloom in the dark of winter. 




The first impression of Bruce Liu’s playing: Here’s someone who has mastered the art of playing softly. So softly you can barely hear it. And the audience is with him - to the last note of every phrase, meticulously shaped and deeply felt. Liu’s playing, though expertly controlled, never sounds calculated. His heart is in it; yet he never overwhelms. His approach brings out the unity rather than contrast in Tchaikovsky’s cycle, like a light shining from within the music. 

I’m less familiar with the Scrijabin and Prokofiev Sonatas than with “The Seasons.” Liu’s ease in mastering the technical difficulties is fascinating, yet, sometimes, I find myself wishing for more drama, for that overpowering force I’m used to. Maybe that’s just the old stereotype I’m used to.. It’s so refreshing to hear a different take and who says everyone has to play everything the same way.





Bruce Liu won 1st prize at the 2021 Chopin competition in Warsaw. Throughout his program playing Russian composers I’ve been wishing to hear the elegance of his playing applied to Chopin’s music. He does us the favor in his encores: The Waltz in a-minor and the Fantasie Impromptu - transparent and glittering like raindrops in a spider web in the sun. The audience wants more, and Liu complies, with a baroque piece (Rameau?). More applause. A Rag by Scott Joplin brings smiles to many faces. Reluctant to leave, people rise from their seats and keep clapping. One more time, Bruce Liu comes out to take a bow. Closing the fallboard over the keys, he makes a final statement.


Did you happen to notice what a quiet audience we were, writes a friend on Facebook later that day. 

I can’t help but think it not only has to do with his beautiful playing, but also with the time we are living in now. Just a hunch…


What a treat to be drawn into a performance, rather than overpowered. It’s like someone whispering: Listen to me! 

Thank you, Bruce Liu, for this evening, which gives me hope that quiet voices will still be heard in this time of noise and screaming. 




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Carnegie Hall, Freitag Abend, 24.1. dritte Reihe im Balkon, hoch über der Bühne, mit einem guten Blick auf den Flügel - der Moment bevor der Zuschauerraum im Dunkeln verschwindet und der Pisnist auf dem Podium erscheint. Ein Moment der Erwartung, sogar im Publikum - ich will mir lieber nicht vorstellen, wie sich der Solist hinter der Bühne jetzt fühlt …


Bruce Liu - den Namen habe ich schonmal gehört, aber ich weiss nicht, wer das ist. Das heutige Konzert wurde auf WQXR - dem New Yorker Klassiksender - in den letzten Tgen eifrig beworben, und dann hatte ich Glück: eine Freundin hatte eine Karte übrig.


Die Musik ist mir einigermassen vertraut - Tschaikovky’s Jahreszeiten, die 4. Sonate von Skrijabin und die 7. Sonate von Prokofiev - vor allem in der Interpretation russischer Künstler. In den 1990’er Jahren verbrachte ich viel Zeit in St Petersburg, Russland, um mich mit Musikerziehung dort vertraut zu machen. Ich besuchte Musikschulen, Konzerte, Wettbewerbe, führte zahlreiche Gespräche mit Lehrern und Schülern. Und nach dem Hochschulabschluss in Deutschland hatte ich zwei Jahre lang Unterricht bei der russischen Pianistin Oxana Yablonskaya. Diese Erfahrungen haben mein Bild von russischer Interpretation russischer Musik geprägt: kraftvoll im Klang, virtuos und von überschwenglicher emotionaler Intensität, die mir, ehrlich gesagt, manchmal etwas zu viel wurde.


Bruce Liu’s Programm beginnt mit den ersten sechs Stücken aus Tschaikovsky’s Zyklus Die Jahreszeiten. Der zweite Teil des Zyklus eröffnet die zweite Hälfte des Programms. Er besteht aus zwölf Charakterstücken, eins für jeden Monat, inspiriert von Gedichten russischer Dichter. Die Musik beschwört die Stadt St Peterburg herauf, das “Venedig des Nordens” mit seinen Palästen und Kanälen, die Weissen Nächte im Juni, wenn die Sonne kaum untergeht, und die Ausgelassenheit des Balles, der das tiefe Dunkel des langen Winters vertreibt. 


Mein erster Eindruck von Lius Interpretation: hier spielt ein Meister der leisen Töne. Manchmal verschwinden sie fast im Raum. Und das Publikum geht mit - bis zum letzten Klang jeder einzelnen intelligent gestalteten und musikalisch tief empfundenen Phrase. Lius Anschlagskontrolle ist exquisit, trotzdem klingt sein Spiel nie kalkuliert.  Er spielt von Herzen ohne den Zuhörer zu überwältigen. Seine Interpretation ist weniger darauf angelegt, die Kontraste als die Gemeinsamkeiten zwischen den Stücken zum Ausdruck zu bringen. 


Mit den beiden Sonaten bin ich weniger vertraut als mit Tschaikovskys Zyklus. Die Mühelosigkeit, mit der Liu die technischen Herausforderungen der Stücke bewältigt, ist faszinierend. Manchmal ertappe ich mich auf der Suche nach mehr Dramatik, nach der überwältigenden Klanggewalt, die ich bei diesen Stücken gewöhnt bin. Aber wer weiss, vielleicht ist es nur das: alte Gewohnheit. Es ist belebend, einen anderen Ansatz zu hören - wer sagt, dass alle alles gleich spielen müssen. 



https://www.youtube.com/channel/UCm6Rt-UbEMrrwnSEq6ehMAA


Bruce Liu hat 2021 den ersten Preis beim Chopinwettbewerb in Warschau gewonnen. Während ich ihm zuhöre, wie er die Musik russischer Komponisten spielt, wächst der Wunsch, zu erfahren wie sich die Eleganz seines Spiels bei Chopin auswirkt. Bei den Zugaben tut er uns den Gefallen - mit Chopins Walzer in a-moll und dem Fantasie-Impromptu - durchsichtig und glitzernd wie Regentropfen in einem Spinnennetz auf das die Sonne fällt. Das Publikum verlangt nach mehr. Liu lässt sich nicht lange bitten und spielt, diesmal eine Komposition des Barock (Rameau?). Mehr Beifall, und noch ein Stück, ein Ragtime von Scott Joplin, der ein Lächeln auf viele Gesichter zaubert. Das Publikum will immer noch nicht nach Hause, erhebt sich von den Sitzen und applaudiert. Noch einmal kommt Bruce Liu auf die Bühne, verneigt sich. Dann klappt entschieden den Klavierdeckel zu. 


Ist dir aufgefallen, wie still wir alle zugehört haben, fragt später eine Freundin auf Facebook. Vielleicht hat das nicht nur mit dem wunderschönen Spiel zu tun, sondern mit den Zeiten, in denen wir leben. Nur so ein Gefühl…


Wie wundervoll, in Musik hineingezogen, statt von ihr erschlagen zu werden. Es ist als wenn jemand flüstert: Hör’ mir zu. 

Danke, Bruce Liu, für diesen wundervollen Abend, der Hoffnung gibt dass auch leise Stimmen noch gehört werden in diesen Zeiten voller Lärm und Geschrei.